• Als der Gips wieder herunten war, fragte mich meine Großmutter: „Bist du wieder heil?“ Ich antwortete irgendwas wie: „Alles wieder gut!“ und humpelte mit meiner Adlerfeder in den Haaren im Garten herum! Nur war wirklich alles wieder heil und gut? Ich muss so fünf Jahre alt gewesen sein, bewaffnet mit einer Portion Riesenabenteuermut, als ich in den Holzschuppen ging um mir eine Riesenleiter zu holen.
  • Der Plan war geschmiedet: Auf zum schmiedeeisernen Tor bei der Einfahrt! Das Tor hatte Verschnörkelungen und blumenartige Gebilde, war uralt, schwarz, scharfkantig, ein wenig rostig und mit einer Besonderheit die ich nicht bedachte: Es ist beweglich. Ich karrte also die Leiter dahin, stellte diese auf den sandigen Untergrund und setzte an. Soweit so gut. Dann stapfte ich eine Sprosse nach der anderen hinauf um diese wunderschönen rosenartigen Gebilde am oberen Ende des Tores näher anzusehen. Der Wunsch, das zu tun, war ja schon immer dagewesen, nur jedes Mal, wenn ich darum bat, bekam ich nur ein knappes „später einmal“ zu hören. Ich, also schon weit oben auf der Leiter, verstärkte sich der Druck, um die Leiter auf dem sandigen Boden rutschen zu lassen. Hinzu kam, dass das Tor in die andere Richtung nachgab. Nur eben aus meiner Sicht in die falsche Richtung. Dann ging alles sehr schnell. Vorher rasierte mich eine Eisenrose am Kopf und schnitt mir einen feinen Cut am Kopf (Narbe noch heute sichtbar).
  • „Was ist das für ein dicker und warmer Saft, schmeckt irgendwie nach rostigen Eisennagel, das mir da gerade runterläuft“ dachte ich mir noch kurz. Dann schlug ich am Boden auf. Das heißt: Das eine Beinchen verhedderte sich da noch kurz vorher, bevor die Leiter zu Boden krachte. Ob ich das Geräusch eines Brechens eines Astes vernommen hatte, bleibt ein Rätsel, denn mir wurde schwarz vor den Augen. Mein Glück war, dass dieses Ereignis kurz vor Mittag passierte und da ich nach mehrmaligen Rufen meines Vaters nicht erschien, fanden sie mich sehr schnell. Ich kam erst im Krankenwagen wieder zu mir. Der Blick meines Vaters war so, als würde er mich umarmen und gleichzeitig erwürgen wollen.
  • Dieser Blick ist mein Leben lang gespeichert und bringt mich immer wieder zum Nachdenken. „Warum war es mir immer so wichtig, wie die Leute mich anschauen und was sie sich dabei denken würden?“ Da lag ich nun. Im Dorfkrankenhaus gefühlt zehn Jahre meines Lebens, ohne Flipperserie und ohne Elvis Presley-Filme, im Liegegips.
  • Es hat nun über vierzig Jahre gebraucht, um diesen Satz: „Bist du wieder heil?“ näher zu beleuchten. Der Knochenbruch ist verheilt. Nur was ist mit dem anderen Bruch, dem mentalen Bruch? Seit diesem Ereignis, habe ich gemerkt, dass alles was mit Höhe zu tun hat, ein unruhiges Gefühl in mir auslöst. Wo sich dieses Gefühl breitgemacht hat? Es begann gleich nach dem Ereignis, beim Klettern auf Bäume oder Wandmauern: Ein Teil meiner Lebensfreude war weg und alleine der Gedanke beschaffte mir zittrige Beine.
  • Später in der Volksschule im Turnunterricht wie Reck oder Kletterstange, das Springen vom 3-Meter-Brett: Zitternd stand ich auf dem Brett und musste wieder absteigen. Sei es das Riesenrad im Prater, „Nein, ich warte mit Oma unten“. Dann später als Teenager, „Klettern und Abseilen beim Canyoning: „Nein, ich heize den Griller schon mal an und kühl das Bier ein!“ oder „Ihr braucht doch einen der das alles fotografiert!“ Das Überqueren jeglicher Brücken: „Ui – gibt es noch einen anderen Weg?“ Dann später im Job, Kundentermine im Flieger, die Assistentin fragend: „Kann ich nicht mit der Bahn/Auto dahin?“ Oder Ausflüge auf Berge oder Gebäude im Urlaub wie Paris, Kapstadt oder Rio de Janeiro. Kurzum, alles was mit Höhe zu tun hat, „Danke, aber nein danke“.
  • Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie belastend so was sein kann. Man hat Bammel, und weiß eigentlich nicht warum. Ist man dann heil und alles ist gut? Bestimmt nicht.
  • Dann bekam ich die Möglichkeit, die alles grundlegend veränderte. Ich lernte in Kontakt mit meiner Intuition zu treten, also einfach gesagt: Gezielt mit meinem Unterbewusstsein zu kommunizieren. Eine fabelhafte Gelegenheit sich seinen Ängsten zu stellen, diese auf den Grund zu gehen und zu lösen.
  • Obwohl die Narben oder Knochen längst verheilt sind, du aber immer noch das Gefühl verspürst nicht „Ganz“ zu sein und mögliche Angst, Furcht oder Beklemmung, wie es bei mir die Höhe war, auslöst, so bin ich gerne bereit dich dabei zu begleiten um wieder ganz heil zu werden.

Euer Dominik Ressig